Nur von der Ferne …, 2012

Audio-Visuelle Transformation (Musik und Ton: Johannes Quint)
Dauer: 30‘11“, HDV

Text: Franz Kafka, aus dem Nachlass
Stimme: David Fischer

Ein Himmel, auf dem sich stetig immer neue Wolkengebilde kreieren und sich wieder auflösen, bildet einen ungebrochenen (ungeschnittenen) Hintergrund in diesem Videobild.

Eine zweite, animierte Ebene (Wasserfläche, Speicherboden, Ruine, Landschaft und Linse), schiebt sich gelegentlich vor diesem sich stetig wandelnden Himmel, mal mehr, mal weniger transparent.

Die Tonspur besteht ebenfalls aus mehreren Ebenen:

Im Vordergrund steht Kafkas Text, der vollständig gesprochen und dabei durch grosse Pausen stark in die Länge gezogen wird. Dahinter tauchen immer wieder geflüsterte kurze Ausschnitte des Textes auf und verschwinden wieder. Schliesslich gibt es das in grossen Abständen wiederholte Wort ‘ich’, das – wie ein Spiegel – Identität aufrecht erhält oder aufrechtzuerhalten versucht.

Das Zeitgefühl wird entscheidend durch die einzige im engeren Sinne musikalische Spur bestimmt. Sie besteht aus ruhig vorbeiziehenden Klängen, die in einer unendlich langsamen Steigerung in eine Klimax führen. Diese Klänge sind komplexe Aggregate, deren Komponenten aus weissem Rauschen bestehen, das mit Resonanzfiltern bearbeitet wurde.

Der Text von Franz Kafka lautet: 
Ich bin zurückgekehrt, ich habe den Flur durchschritten und blicke mich um. Es ist meines Vaters alter Hof. Die Pfütze in der Mitte. Altes, unbrauchbares Gerät, ineinander verfahren, verstellt den Weg zur Bodentreppe. Die Katze lauert auf dem Geländer. Ein zerrissenes Tuch, einmal im Spiel um eine Stange gewunden, hebt sich im Wind. Ich bin angekommen. Wer wird mich empfangen? Wer wartet hinter der Tür der Küche? Rauch kommt aus dem Schornstein, der Kaffee zu Abendessen wird gekocht. Ist dir heimlich, fühlst du dich zu Hause? Ich weiß es nicht, ich bin sehr unsicher. Meines Vaters Haus ist es, aber kalt steht Stück neben Stück, als wäre jedes mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, die ich teils vergessen habe, teils niemals kannte. Was kann ich ihnen nützen, was bin ich ihnen und sei ich auch des Vaters, des alten Landwirts Sohn. Und ich wage nicht, an der Küchentür zu klopfen, nur von der Ferne horche ich, nur von der Ferne horch ich stehend, nicht so, daß ich als Horcher überrascht werden könnte. Und weil ich von der Ferne horche, erhorche ich nichts, nur einen leichten Uhrenschlag höre ich oder glaube ihn vielleicht nur zu hören, herüber aus den Kindertagen. Was sonst in der Küche geschieht, ist das Geheimnis der dort Sitzenden, das sie vor mir wahren. Je länger man vor der Tür zögert, desto fremder wird man. Wie wäre es, wenn jetzt jemand die Tür öffnete und mich etwas fragte. Wäre ich dann nicht selber wie einer, der sein Geheimnis wahren will.